gespiegelt von: knack.news
Liebe Genoss:innen,
wir wollen euch auch auf euren Debattenbeitrag antworten, das ganze sind verschiedene, teilweise mehr oder weniger zusammenhängende Überlegungen:
1) Konfrontation mit dem Staat
Wir denken Ausgangspunkt dieser Debatte und vieler – teilweise unsolidarischer – Kritik an militanter, antifaschistischer Praxis, wie sie bspw. Im Rahmen des Antifa-Ost-Verfahrens verhandelt wurde, ist die staatliche Repression und die Konfrontation dieses Teiles einer Antifa-Bewegung mit dem Staat und seiner Gewalt. Die Frage der Solidarität und die Delegitimierung von Antifaschismus in seiner Gesamtheit zwingt hier allerdings die gesamte Antifa-Bewegung, ein Verhältnis zum Staat und seiner Gewalt zu schaffen. Wo sie das nicht schafft, werden Schuldige für die aktuellen politischen Angriffe in den eigenen Reihen gesucht und wird die militante Ebene antifaschistischer Politik nicht mehr als Teil dieser in ihrer Gesamtheit gesehen.
Würde ohne diese Repression, ohne von der „Soko Linx“ durchgestochene Informationen an die Presse, ohne Beiträge des Verfassungsschutzes die Diskussion in der gleichen Form geführt werden? Oder würden nicht breite Teile einer antifaschistischen Bewegung die Aktionen als erfolgreich feiern oder zumindest in einem solidarisch-kritischen Verhältnis zu ihnen stehen und ihre Notwendigkeit anerkennen?
Für uns bedeutet das, einerseits die von euch losgetretene Debatte über Ziele, Taktiken und Co. militanter Antifa-Praxis darzustellen, zu erklären und zu führen. Andererseits glauben wir, dass es auch eine Debatte um Repression und ihre Funktion für kapitalistische Herrschaft braucht, die die inhaltlichen Grenzen einer Antifa-Bewegung verlassen und die Frage nach revolutionären Antworten aufmachen muss.
2) Strategie & Taktik
Ihr schreibt:
„Verstärkt zu beobachten ist ein sich immer häufiger artikulierendes strategisches Unverständnis antifaschistischer Militanz.“
a) Auf einen Teil der Kritik trifft dieses Zitat sicherlich zu. Für uns liegt das auch daran, dass militante antifaschistische Praxis innerhalb der Bewegung nicht sehr verbreitet ist und in Teilen isoliert von sonstiger antifaschistischer Praxis stattfindet.
Ein anderer Teil der Kritik rührt für uns daher, dass diese Teile der Bewegung nicht bereit sind, sich damit auseinanderzusetzen. Die Konsequenzen solcher Praxis – persönliche Gefahr, Repression, Verhältnis zu Gewalt und Abgrenzung vom Staat – wollen sie nicht tragen, gleichwohl sie sich ihrer bewusst sind. Solange alles „gut geht“ ist die Kritik hier still, erst wenn es „schief geht“, es also zu Repression kommt, man selbst gezwungen ist, sich in der Frage der Solidarität offen zu verhalten, kommt es zu einer Abgrenzung, mit unterschiedlichen Begründungen. Dahinter stehen entweder bürgerliche Akteure, Sozialdemokrat:innen, Szene-Leute, die ihre politisch-kulturelle Bubble nicht gefährdet sehen wollen. Hier stoßen Diskussionen zwangsläufig auf gesetzte Grenzen.
Eine andere Richtung sind Akteure, die eine grundsätzlich andere Antifa-Strategie verfolgen.
b) Für uns stellen solche Kommando-Angriffe, um die es in der Diskussion bislang maßgeblich geht, aber auch Formen von Auseinandersetzungen am Rande von Demos, Massenmilitanz und sonstige Formen antifaschistischer Politik (Bündnisarbeit etc.) unterschiedliche Taktiken dar. Unterschiedliche Taktiken, die je nach Situation in einer antifaschistischen Strategie benutzt werden, mit dem Ziel einer faschistischen Gefahr zu begegnen.
Eine Bezugsgruppe ist keine „Masse“, Kommandomilitanz braucht ein Verhältnis zur restlichen Bewegung, um nicht isoliert zu werden und damit aus unseren Aktionsgruppen im Umfeld von Demonstrationen keine triebgesteuerten Hooligans werden, müssen wir in der Lage sein, unsere Praxis, die individuelle Motivation dahinter, Ziele und Mittel zu reflektieren und in den Kontext weiterer Gegenwehr stellen.
Für inhaltliche Antworten auf Chauvinismus und reaktionäre Tendenzen reicht ein Draufschlagen alleine (auch wenn es eine Rolle spielt!) nicht aus, sondern muss auch in die Klasse gewirkt und an der Verbreiterung der Bewegung gearbeitet werden.
Wir denken, dass es hierfür eine Organisierung braucht, die möglichst viele Aspekte antifaschistischer Praxis vereint, politisch gewichtet und die aktuellen Notwendigkeiten und Taktiken bestimmt, damit so eine stärkere Schlagkraft entwickeln kann.
Das heißt für uns aber nicht, dass alles andere nicht erfolgreich ist und auch nicht, dass in einer großen Organisation alle alles machen und alles wissen müssen, sondern gemeint ist vor allem eine politische Einheit.
Auch denken wir, dass Eine antifaschistische Strategie, die sich starr auf die Bekämpfung des Faschismus und reaktionärer Tendenzen beschränkt, so zwangsläufig an Grenzen stößt und eine revolutionäre Perspektive notwendig ist.
3) Erlebnisorientierte Männergruppen
Wir widersprechen euch, dass nicht jede Auseinandersetzung auf oder am Rande von (Gegen-) Demonstrationen automatisch von „erlebnisorientierten Männergruppen“ zur „eigenen Triebabfuhr“ geführt werden, auch wenn wir wissen, dass solche Formen der Auseinandersetzung in der Regel von Männern dominiert werden.
Eine so pauschalisierende Aussage vergisst zum einen, dass mittlerweile nicht mehr nur Männer das machen – auch wenn sie oft den absoluten Großteil der Gruppen ausmachen. Auch geht es uns nicht darum zu leugnen, dass Antifa-Politik Macker anzieht, auch von patriarchalen Verhalten dominiert ist, Gewalt und Männlichkeit oft Hand in Hand gehen und es hierzu mehr Reflektion in der Bewegung braucht. Damit werden diese Formen für uns aber nicht weniger notwendig. Wir müssen sie vielmehr kritisch angehen, patriarchales Verhalten konfrontieren und dafür sorgen, nicht-männlich gelesene Personen an eine solche Praxis heranzuführen.
4) Antifa-Militanz
a) Kommandomilitanz:
Euren Überlegungen in den Punkten 1 bis 5 teilen wir (wo zuvor bzw. im folgenden nicht widersprochen), denken jedoch, sie beziehen sich vor allem auf Kommandomilitanz. Grob verstehen wir hierunter gezielte und planmäßig durchgeführte Aktionen gegen faschistische oder rechte Akteure oder deren Infrastruktur. Die Aktionen finden losgelöst von klassischen Anlässen statt, sind für Bullen oder Faschist:innen nicht vorhersehbar und zielen darauf ab, die Handlungsräume möglichst effektiv und weitgehend einzuschränken, Infrastruktur zu zerstören, Personen durch körperliche Schäden vorübergehend handlungsunfähig zu machen, damit immer auch Ressourcen zu binden und einzuschüchtern.
Durch die Bedeutung der Ziele für die faschistische Bewegung vermitteln sich solche Aktionen i.d.R. auch selber. Wir würden diese Überlegungen nochmal um 2 weitere Formen erweitern, bei denen wir eine Bedeutung sehen und wo wir eure Abgrenzung falsch finden.
b) Aktionen im Umfeld von Demos o.Ä.:
Hierunter verstehen wir ebenfalls planmäßig vorbereitete, jedoch in der Ausführung dann spontane Auseinandersetzungen am Rande oder im Umfeld von Demonstrationen oder vergleichbaren Anlässen. Ziel soll sein, im Umfeld von rechten Mobilisierungen, jedoch abseits der unmittelbaren Demo- bzw. Gegendemo und damit zunächst außerhalb des polizeilichen Radars, aktiv zu werden, jedoch sind Bullen ggf. schneller zur Stelle.
Wir denken solche Formen können einerseits Menschen nochmal einfacher an Auseinandersetzungen heranführen, da sie etwas niedrigschwelliger sind. Andererseits schränken sie die Handlungsräume von Faschist:innen bei solchen Mobilisierungen ein, sind eine Form des Selbstschutzes, indem verhindert wird, dass sie selbst Leute angreifen und schaffen im Idealfall eine Atmosphäre der Angst bei Rechten, die noch nicht organisiert sind, bei solchen Mobilisierungen aber Anschluss und Mut finden. Damit wird eine Dynamik auf der Straße nochmal an einer anderen Stelle angegriffen.
c) Massenmilitanz
Sagt der Name eigentlich schon alles, gemeint sind Massen- / Materialblockaden, Scharmützeln um die Route oder sonstige direkte Störungen etc. . Orientiert sich für uns immer am Niveau der Massen, soll dieses aber auch weiter steigern. Bietet die einfachste Möglichkeit, Menschen an Militanz heranzuführen. Für uns ist sie wichtig, da sie den Faschist:innen die Straße, also den Ort von gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzung streitig macht.
Auch hat Massenmilitanz für uns nochmal eine besondere Bedeutung, weil wir selbst Erfahrungen einerseits in der Ausführung aber viel wichtiger in der Leitung von ihr machen können. Das ist wichtig, weil wir diese Erfahrungen – aller Formen militanter Politik – nutzen wollen auf dem Weg zu einem revolutionären Bruch und den damit einhergehenden Kämpfen. Massenmilitanz ist hier nochmal wichtiger, weil wir glauben, dass eine Revolution nicht von einer kleinen Gruppe, sondern durch Aktionen breiter Teile der Arbeiter:innenklasse gemacht werden wird, bei denen es unser Anspruch ist, diese schon jetzt zu entwickeln und deren Führung zu erlernen.
Schlusswort
Wir wollen mit diesem Beitrag die Gewalt nicht in Frage stellen, sondern sie eher in ein Verhältnis zu antifaschistischer Praxis setzen. Den wir denken, dass durch eine verbindliche, kontinuierliche Organisierung und einer Praxis auf allen Ebenen, die sich dann in Organisierungsprozessen wiederfindet, ein stückweit die Krise der antifaschistische „Bewegung“ überwinden werden könnte. Natürlich wird das alleine wahrscheinlich noch nicht reichen, doch schaffen wir damit bessere Ausgangsbedingungen für kommende Kämpfe.
Auch ist uns bewusst, dass es Unterschiede in der Situation in Ostdeutschland gibt, die ggf. auch nochmal eine andere Gewichtung unterschiedlicher Taktiken erfordern.