SOLIDARITÄT MIT ISRAEL

Wir dokumentieren hier unseren Redebeitrag auf der Soldiaritätskundgebung mit Israel nach dem Angriff der Hamas am 07.10.2023.

Liebe Freund*innen Israels,

im Anbetracht des barbarischen Überraschungsangriffes der Hamas auf Israels Zivilbevölkerung, bleiben auch wir mit Gefühlen der Betroffenheit und Ohnmacht zurück. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien, unsere Solidarität gilt den Menschen in Israel!

In unserem Beitrag möchten wir den Fokus jedoch auf Leipziger Zustande der radikalen Linken richten. Seit mehreren Jahren gewinnen autoritäre rote Gruppen und ihre Vorfeldorganisationen an Einfluss. Sie locken mit einfachen Welterklärungen, nutzen gezielt offene linke Strukturen, um Mehrheitsverhältnisse zugunsten ihrer Agenda zu verändern – die Kritischen Einführungswochen sind dafür ein bitteres Beispiel – und suchen in unumstrittenen Politikfeldern strategische Bündnisse mit emanzipatorischen Gruppen.

Die Reaktion einiger dieser problematischen Organisationen auf den mörderischen Angriff der radikalislamischen Hamas, sollte all jenen Teilen der Linken eine Warnung sein, denen der Begriff Emanzipation etwas bedeutet.
Young Struggle und Zora, die beide der stalinistischen türkischen MLKP nahestehen, teilten auf Insta einen Beitrag, der Israel als Apartheidstaat denunziert und die Angriffe als „Widerstand und nationale Befreiung gegen koloniale Unterdrückung“ und als „legitimen Widerstand“ bezeichnet.

Während wahllos schlimmste Verbrechen an Kindern, Alten, Männern und Frauen begangen werden, erscheinen ihnen diese Taten noch als Akt des heroischen Widerstandes. Dieser Wahnsinn muss als solcher benannt werden.

Ein Wahnsinn, der auch darin aufscheint, sich mit Islamisten zu solidarisieren, deren Vorstellung von Gesellschaft nicht weiter von der einer befreiten entfernt sein könnte. Der sich zeigt, wenn Zora die strategische misogyne Gewalt von Islamisten unter den Teppich des nationalen Befreiungskampfes kehrt. Ein Feminismus, der Jüd*innen nicht mit meint, der ist keiner. Wie so oft wirkt der Hass auf Israel als verbindendes Element der alle Widersprüche zum Verschwinden bringt.

Die Jugendkommune, das Solinetz Leipzig, sowie Zora teilten auf Insta einen Beitrag der orthodox kommunistischen Onlinezeitung „Perspektive”, die den Angriff als ganz normale militärische Operation einer Kriegspartei verharmlost und die die überrannten südlichen Gemeinden verbal als „Siedlungen“ zum Abschuss freigibt. Es seien nur israelische Soldaten angegriffen worden und hier und da sogar Waffen erbeutet.

Jeder Hinweis auf die Realität muss sich für diese Ideologen wie eine Existenzbedrohung anfühlen.
Die eigentliche Existenz aber, die bedroht ist, ist die von Jüdinnen und Juden.

Auch von ebenjenen Gruppen, die hier erwähnt wurden und die sich verantwortlich zeichnen für all die „Yallah Intifada“ und „from the river to the sea“ Parolen während Klimaprotesten und dem unwürdigen Hanau Gedenken in diesem Jahr. Was diese Parolen meinen, ist das, was gerade in Israel passiert.

Wir rufen dazu auf, diesem Treiben nicht weiter unwidersprochen zuzuschauen. Gegen jeden Antisemitismus! Gegen linken Antisemitismus. Solidarität mit Israel!

Repressions-Debatte

In unserer Broschüre, “Leipzig, die Repression wirkt – Reden wir darüber” haben wir am Ende ein kleines Schlaglicht auf Militanz geworfen. Immer wieder nehmen Leute in Kommentaren oder Gesprächen auf diese kurze Passage Bezug. So vor kurzem auch ein längerer Debattenbeitrag zu Militanz, den wir als solchen auch erstmal sehr begrüßen. Was wir jedoch an dieser Stelle kurz anmerken möchten: In diesen wenigen Sätzen, die wir zu Militanz geschrieben haben, sind wir bewusst sehr abstrakt geblieben. Wir haben entsprechend keinen Bezug auf konkrete Aktionsformen oder Aktionen genommen, weder in Leipzig noch anderswo. Wir verstehen, dass der Text so interpretiert werden kann, wollten allerdings viel mehr grundlegende Fragen von Militanz aufwerfen. Diese wären sicherlich anhand Konkretem auch zu diskutieren. Dies kann auch in Debattenbeiträgen von Anderen erfolgen, die mit diesen aufgeworfenen Fragen arbeiten. Dabei sollte aber bedacht werden, dass wir darauf verzichtet haben, da unsere internen Diskussionen dazu nicht abgeschlossen sind.

Im Folgenden spiegeln wir den auf knack.news erschienen Debattenbeitrag, sowie einen darauf antwortenden Beitrag und freuen uns wenn die Debatte weitergeführt wird.


Einige Gedanken zu Status quo und Perspektive der antifaschistischen Bewegung

Nach über eineinhalb Jahren ging am 31. Mai 2023 in Dresden ein Prozess zu Ende, welcher in die Geschichte eingehen wird und neue Maßstäbe im Vorgehen gegen die linke und antifaschistische Bewegung in der Bundesrepublik gesetzt hat. Es ist das erste Mal, dass ein deutsches Gericht seit der Reformierung des 129-Paragraphen im Jahr 2017 einige Linke als „kriminelle Vereinigung“ verurteilt hat. Zu diesem Prozess wurde bereits vieles gesagt, was an dieser Stelle nicht wiederholt werden soll. Mit der Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt, der Anklage vor dem Staatsschutzsenat eines Oberlandesgerichts und der „besonderen Bedeutung“, die dem Fall verliehen wurde, sollte deutlich gemacht werden: Wer in diesem Land organisiert und konsequent gegen die faschistische Bedrohung eintritt, wird in die Nähe von Terrorismus gerückt. Die langen Haftstrafen sprechen für sich und zeigen eine klare politische Positionierung der Justiz und Sicherheitsbehörden vor dem Hintergrund einer gesellschaftlich erstarkenden Rechten und wachsenden faschistischen Bedrohung…

(Antifa, August 2023)


Debattenbeitrag zu „Einige Gedanken zum Status Quo und Perspektive der antifaschistischen Bewegung“

Liebe Genoss:innen,
wir wollen euch auch auf euren Debattenbeitrag antworten, das ganze sind verschiedene, teilweise mehr oder weniger zusammenhängende Überlegungen…

(Einige andere Antifas, Oktober 2023)

Einige andere Antifas: Debattenbeitrag zu „Einige Gedanken zum Status Quo und Perspektive der antifaschistischen Bewegung“

gespiegelt von: knack.news

Liebe Genoss:innen,

wir wollen euch auch auf euren Debattenbeitrag antworten, das ganze sind verschiedene, teilweise mehr oder weniger zusammenhängende Überlegungen:

1) Konfrontation mit dem Staat

Wir denken Ausgangspunkt dieser Debatte und vieler – teilweise unsolidarischer – Kritik an militanter, antifaschistischer Praxis, wie sie bspw. Im Rahmen des Antifa-Ost-Verfahrens verhandelt wurde, ist die staatliche Repression und die Konfrontation dieses Teiles einer Antifa-Bewegung mit dem Staat und seiner Gewalt. Die Frage der Solidarität und die Delegitimierung von Antifaschismus in seiner Gesamtheit zwingt hier allerdings die gesamte Antifa-Bewegung, ein Verhältnis zum Staat und seiner Gewalt zu schaffen. Wo sie das nicht schafft, werden Schuldige für die aktuellen politischen Angriffe in den eigenen Reihen gesucht und wird die militante Ebene antifaschistischer Politik nicht mehr als Teil dieser in ihrer Gesamtheit gesehen.

Würde ohne diese Repression, ohne von der „Soko Linx“ durchgestochene Informationen an die Presse, ohne Beiträge des Verfassungsschutzes die Diskussion in der gleichen Form geführt werden? Oder würden nicht breite Teile einer antifaschistischen Bewegung die Aktionen als erfolgreich feiern oder zumindest in einem solidarisch-kritischen Verhältnis zu ihnen stehen und ihre Notwendigkeit anerkennen?

Für uns bedeutet das, einerseits die von euch losgetretene Debatte über Ziele, Taktiken und Co. militanter Antifa-Praxis darzustellen, zu erklären und zu führen. Andererseits glauben wir, dass es auch eine Debatte um Repression und ihre Funktion für kapitalistische Herrschaft braucht, die die inhaltlichen Grenzen einer Antifa-Bewegung verlassen und die Frage nach revolutionären Antworten aufmachen muss.

2) Strategie & Taktik

Ihr schreibt:

Verstärkt zu beobachten ist ein sich immer häufiger artikulierendes strategisches Unverständnis antifaschistischer Militanz.“

a) Auf einen Teil der Kritik trifft dieses Zitat sicherlich zu. Für uns liegt das auch daran, dass militante antifaschistische Praxis innerhalb der Bewegung nicht sehr verbreitet ist und in Teilen isoliert von sonstiger antifaschistischer Praxis stattfindet.

Ein anderer Teil der Kritik rührt für uns daher, dass diese Teile der Bewegung nicht bereit sind, sich damit auseinanderzusetzen. Die Konsequenzen solcher Praxis – persönliche Gefahr, Repression, Verhältnis zu Gewalt und Abgrenzung vom Staat – wollen sie nicht tragen, gleichwohl sie sich ihrer bewusst sind. Solange alles „gut geht“ ist die Kritik hier still, erst wenn es „schief geht“, es also zu Repression kommt, man selbst gezwungen ist, sich in der Frage der Solidarität offen zu verhalten, kommt es zu einer Abgrenzung, mit unterschiedlichen Begründungen. Dahinter stehen entweder bürgerliche Akteure, Sozialdemokrat:innen, Szene-Leute, die ihre politisch-kulturelle Bubble nicht gefährdet sehen wollen. Hier stoßen Diskussionen zwangsläufig auf gesetzte Grenzen.

Eine andere Richtung sind Akteure, die eine grundsätzlich andere Antifa-Strategie verfolgen.

b) Für uns stellen solche Kommando-Angriffe, um die es in der Diskussion bislang maßgeblich geht, aber auch Formen von Auseinandersetzungen am Rande von Demos, Massenmilitanz und sonstige Formen antifaschistischer Politik (Bündnisarbeit etc.) unterschiedliche Taktiken dar. Unterschiedliche Taktiken, die je nach Situation in einer antifaschistischen Strategie benutzt werden, mit dem Ziel einer faschistischen Gefahr zu begegnen.

Eine Bezugsgruppe ist keine „Masse“, Kommandomilitanz braucht ein Verhältnis zur restlichen Bewegung, um nicht isoliert zu werden und damit aus unseren Aktionsgruppen im Umfeld von Demonstrationen keine triebgesteuerten Hooligans werden, müssen wir in der Lage sein, unsere Praxis, die individuelle Motivation dahinter, Ziele und Mittel zu reflektieren und in den Kontext weiterer Gegenwehr stellen.

Für inhaltliche Antworten auf Chauvinismus und reaktionäre Tendenzen reicht ein Draufschlagen alleine (auch wenn es eine Rolle spielt!) nicht aus, sondern muss auch in die Klasse gewirkt und an der Verbreiterung der Bewegung gearbeitet werden.

Wir denken, dass es hierfür eine Organisierung braucht, die möglichst viele Aspekte antifaschistischer Praxis vereint, politisch gewichtet und die aktuellen Notwendigkeiten und Taktiken bestimmt, damit so eine stärkere Schlagkraft entwickeln kann.

Das heißt für uns aber nicht, dass alles andere nicht erfolgreich ist und auch nicht, dass in einer großen Organisation alle alles machen und alles wissen müssen, sondern gemeint ist vor allem eine politische Einheit.

Auch denken wir, dass Eine antifaschistische Strategie, die sich starr auf die Bekämpfung des Faschismus und reaktionärer Tendenzen beschränkt, so zwangsläufig an Grenzen stößt und eine revolutionäre Perspektive notwendig ist.

3) Erlebnisorientierte Männergruppen

Wir widersprechen euch, dass nicht jede Auseinandersetzung auf oder am Rande von (Gegen-) Demonstrationen automatisch von „erlebnisorientierten Männergruppen“ zur „eigenen Triebabfuhr“ geführt werden, auch wenn wir wissen, dass solche Formen der Auseinandersetzung in der Regel von Männern dominiert werden.

Eine so pauschalisierende Aussage vergisst zum einen, dass mittlerweile nicht mehr nur Männer das machen – auch wenn sie oft den absoluten Großteil der Gruppen ausmachen. Auch geht es uns nicht darum zu leugnen, dass Antifa-Politik Macker anzieht, auch von patriarchalen Verhalten dominiert ist, Gewalt und Männlichkeit oft Hand in Hand gehen und es hierzu mehr Reflektion in der Bewegung braucht. Damit werden diese Formen für uns aber nicht weniger notwendig. Wir müssen sie vielmehr kritisch angehen, patriarchales Verhalten konfrontieren und dafür sorgen, nicht-männlich gelesene Personen an eine solche Praxis heranzuführen.

4) Antifa-Militanz

a) Kommandomilitanz:

Euren Überlegungen in den Punkten 1 bis 5 teilen wir (wo zuvor bzw. im folgenden nicht widersprochen), denken jedoch, sie beziehen sich vor allem auf Kommandomilitanz. Grob verstehen wir hierunter gezielte und planmäßig durchgeführte Aktionen gegen faschistische oder rechte Akteure oder deren Infrastruktur. Die Aktionen finden losgelöst von klassischen Anlässen statt, sind für Bullen oder Faschist:innen nicht vorhersehbar und zielen darauf ab, die Handlungsräume möglichst effektiv und weitgehend einzuschränken, Infrastruktur zu zerstören, Personen durch körperliche Schäden vorübergehend handlungsunfähig zu machen, damit immer auch Ressourcen zu binden und einzuschüchtern.

Durch die Bedeutung der Ziele für die faschistische Bewegung vermitteln sich solche Aktionen i.d.R. auch selber. Wir würden diese Überlegungen nochmal um 2 weitere Formen erweitern, bei denen wir eine Bedeutung sehen und wo wir eure Abgrenzung falsch finden.

b) Aktionen im Umfeld von Demos o.Ä.:

Hierunter verstehen wir ebenfalls planmäßig vorbereitete, jedoch in der Ausführung dann spontane Auseinandersetzungen am Rande oder im Umfeld von Demonstrationen oder vergleichbaren Anlässen. Ziel soll sein, im Umfeld von rechten Mobilisierungen, jedoch abseits der unmittelbaren Demo- bzw. Gegendemo und damit zunächst außerhalb des polizeilichen Radars, aktiv zu werden, jedoch sind Bullen ggf. schneller zur Stelle.

Wir denken solche Formen können einerseits Menschen nochmal einfacher an Auseinandersetzungen heranführen, da sie etwas niedrigschwelliger sind. Andererseits schränken sie die Handlungsräume von Faschist:innen bei solchen Mobilisierungen ein, sind eine Form des Selbstschutzes, indem verhindert wird, dass sie selbst Leute angreifen und schaffen im Idealfall eine Atmosphäre der Angst bei Rechten, die noch nicht organisiert sind, bei solchen Mobilisierungen aber Anschluss und Mut finden. Damit wird eine Dynamik auf der Straße nochmal an einer anderen Stelle angegriffen.

c) Massenmilitanz

Sagt der Name eigentlich schon alles, gemeint sind Massen- / Materialblockaden, Scharmützeln um die Route oder sonstige direkte Störungen etc. . Orientiert sich für uns immer am Niveau der Massen, soll dieses aber auch weiter steigern. Bietet die einfachste Möglichkeit, Menschen an Militanz heranzuführen. Für uns ist sie wichtig, da sie den Faschist:innen die Straße, also den Ort von gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzung streitig macht.

Auch hat Massenmilitanz für uns nochmal eine besondere Bedeutung, weil wir selbst Erfahrungen einerseits in der Ausführung aber viel wichtiger in der Leitung von ihr machen können. Das ist wichtig, weil wir diese Erfahrungen – aller Formen militanter Politik – nutzen wollen auf dem Weg zu einem revolutionären Bruch und den damit einhergehenden Kämpfen. Massenmilitanz ist hier nochmal wichtiger, weil wir glauben, dass eine Revolution nicht von einer kleinen Gruppe, sondern durch Aktionen breiter Teile der Arbeiter:innenklasse gemacht werden wird, bei denen es unser Anspruch ist, diese schon jetzt zu entwickeln und deren Führung zu erlernen.

Schlusswort

Wir wollen mit diesem Beitrag die Gewalt nicht in Frage stellen, sondern sie eher in ein Verhältnis zu antifaschistischer Praxis setzen. Den wir denken, dass durch eine verbindliche, kontinuierliche Organisierung und einer Praxis auf allen Ebenen, die sich dann in Organisierungsprozessen wiederfindet, ein stückweit die Krise der antifaschistische „Bewegung“ überwinden werden könnte. Natürlich wird das alleine wahrscheinlich noch nicht reichen, doch schaffen wir damit bessere Ausgangsbedingungen für kommende Kämpfe.

Auch ist uns bewusst, dass es Unterschiede in der Situation in Ostdeutschland gibt, die ggf. auch nochmal eine andere Gewichtung unterschiedlicher Taktiken erfordern.

Antifas: Einige Gedanken zu Status quo und Perspektive der antifaschistischen Bewegung

gespiegelt von: knack.news

Nach über eineinhalb Jahren ging am 31. Mai 2023 in Dresden ein Prozess zu Ende, welcher in die Geschichte eingehen wird und neue Maßstäbe im Vorgehen gegen die linke und antifaschistische Bewegung in der Bundesrepublik gesetzt hat. Es ist das erste Mal, dass ein deutsches Gericht seit der Reformierung des 129-Paragraphen im Jahr 2017 einige Linke als „kriminelle Vereinigung“ verurteilt hat. Zu diesem Prozess wurde bereits vieles gesagt, was an dieser Stelle nicht wiederholt werden soll. Mit der Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt, der Anklage vor dem Staatsschutzsenat eines Oberlandesgerichts und der „besonderen Bedeutung“, die dem Fall verliehen wurde, sollte deutlich gemacht werden: Wer in diesem Land organisiert und konsequent gegen die faschistische Bedrohung eintritt, wird in die Nähe von Terrorismus gerückt. Die langen Haftstrafen sprechen für sich und zeigen eine klare politische Positionierung der Justiz und Sicherheitsbehörden vor dem Hintergrund einer gesellschaftlich erstarkenden Rechten und wachsenden faschistischen Bedrohung.

Mit diesem Urteil geht die erste Runde des Antifa Ost-Verfahrens zu Ende. Leider ist davon auszugehen, dass viele weitere Verfahren folgen werden. Bereits jetzt sind verschiedene neue Prozesse seitens der Behörden in Planung und angekündigt. Der Antifa Ost-Prozess war also erst der Anfang einer viel größer angelegten Repressionswelle, welche antifaschistische Zusammenhänge in den kommenden Jahren treffen und zur Folge haben wird, dass weitere Genoss:innen hinter Gittern landen.

Eine andere Form dieses Durchgreifens konnte man zum sogenannten „Tag X“ in Leipzig und zuvor schon bei den Demonstrationen zur Urteilsverkündung in verschiedenen anderen Städten beobachten. In Leipzig wurde der Protest schlichtweg verboten. Versammlungen von Menschen, welche diesem Verbot zum Trotz Solidarität bekunden wollten, wurden angegriffen. Im vierstelligen Bereich wurden Personalien von Demonstrationsteilnehmer:innen aufgenommen und gegen zwölf Personen wurden Haftbefehle erlassen. Ein Ausmaß an Repression, welches seit den G20-Protesten im Jahr 2017 in Deutschland seinesgleichen sucht. Jenseits aller Diskussionen um die Sinnhaftigkeit der Mobilisierung und der gewählten Protestformen muss festgestellt werden: Der Polizeistaat, mit dem Antifaschist:innen es wohl die nächsten Jahre über weiterhin zu tun haben werden, hat sich an diesem Wochenende in enormer Härte gezeigt. Ziel dahinter ist neben Abschreckung auch eine Verhinderung öffentlich wahrnehmbarer Solidarität und damit einhergehend eine weitere gesellschaftliche Isolation der verfolgten Antifaschist:innen. Der Wind in diesem Land scheint sich zu drehen, nicht erst jetzt, doch eine immer eindeutigere Entwicklung hin zu einem autoritäreren und deutlich härteren Durchgreifen gegen die antifaschistische Bewegung zeichnet sich ab.

Bereits die Wochen und Monate vor dem Urteil waren geprägt von einer Verschärfung der Repression. Auf Basis fadenscheiniger Indizien wurden ganze Häuser vom SEK gestürmt, Türen aufgeschossen und Wohnungen durchsucht. Viele der Durchsuchungen und Maßnahmen werden im Nachhinein von einem Gericht wieder als rechtswidrig eingestuft, doch das interessiert niemanden. Namen, Gesichter und private Informationen von Antifaschist:innen wurden in diversen rechten, aber auch bürgerlichen Medien veröffentlicht und es wurde förmlich zur Jagd auf die Betroffenen aufgerufen. Schnell ist dies mittlerweile scheinbar zur Normalität geworden und fast täglich erschienen reißerische Artikel, in denen eine neue linke Bedrohung heraufbeschworen und die Gefährlichkeit der Beschuldigten betont wird, begleitet von den üblichen hysterischen Schlagzeilen.

Die aus der Vergangenheit bekannte, besorgniserregende Zusammenarbeit zwischen Nazis, Behörden und Teilen der bürgerlichen Presse war dabei einmal mehr zu beobachten. Einige Medien, insbesondere die Springerpresse, machen sich in alter Tradition zum Sprachrohr und Propagandamedium der Behörden, greifen Narrative und „Informationen“ aus Quellen der extremen Rechten auf und erdichten ihre Fiktion von designierten Terroristen noch hinzu. Wie schon in der ersten Runde des Antifa-Ost-Verfahrens wird antifaschistische Praxis von Polizei- und Verfassungsschutzbehörden ohne wahrnehmbaren Widerspruch als „Terrorismus“ oder „an der Schwelle zum Terrorismus“ bezeichnet. Antifaschismus wird als Bedrohung der Bevölkerung dargestellt und es wird von einer „Gewaltspirale“ zwischen links und rechts fantasiert.

Die qualitative und quantitative Zunahme der Repression kann nicht isoliert begriffen werden, sondern ist Teil einer besorgniserregenden gesellschaftlichen Entwicklung. Zunächst ist festzustellen, dass die extreme Rechte in ganz Europa spürbar an Einfluss gewinnt. Dies äußert sich in Deutschland weniger durch das Anwachsen ihrer traditionellen Organisationen, als durch ihre zunehmende Verankerung in der bürgerlichen Gesellschaft. Neben einer Zunahme von Rechtsterrorismus, die insbesondere hierzulande in den letzten Jahren zu beobachten war, werden rechte und faschistische Ideologie und Diskurse immer salonfähiger. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer Zuspitzung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und klimatischer Krisen, die sich in den kommenden Jahren weiter fortsetzen wird. Die staatliche Repression gegen die antifaschistische Bewegung wird dabei begleitet von zunehmenden Versuchen einer gesellschaftlichen Isolation und Delegitimierung antifaschistischer Praxis.

Auch wenn es zwischen staatlichen Akteuren und der extremen Rechten bislang nur Überschneidungen gibt, wie sie etwa bei Nordkreuz oder den zahlreichen Polizeiskandalen der letzten Jahre zum Vorschein kamen, gibt es ein geteiltes Interesse. Die Zurückdrängung und teils präventive Zerschlagung der linken und antifaschistischen Bewegung vor dem Hintergrund der Zunahme gesellschaftlicher Krisen. Und der Erfolg dieses Vorgehens ist kaum zu übersehen. Die radikale Linke ist so schwach wie selten zuvor in ihrer Geschichte. Es fehlt an gesellschaftlicher Verankerung, inhaltlicher Klarheit und gemeinsamer Strategie. Gleichzeitig ist die Notwendigkeit einer linken, einer antifaschistischen Antwort auf die gegenwärtigen Entwicklungen offensichtlich. Viele Genoss:innen werden für ihre Überzeugungen und ihre politische Praxis ins Gefängnis müssen – ob aufgrund ihres Engagements in der Klimabewegung oder aufgrund ihrer Betätigung in sozialen oder antifaschistischen Auseinandersetzungen.

Gleichzeitig zu all dem häufen sich auch die Angriffe auf antifaschistische Militanz aus den vermeintlich „eigenen“ Reihen. Verstärkt zu beobachten ist ein sich immer häufiger artikulierendes strategisches Unverständnis antifaschistischer Militanz. Anstatt aber offene Fragen zu formulieren scheint es sich bei bestimmten Teilen der Szene durchzusetzen, die Militanten durch denunziatorische Annahmen zu diskreditieren. In diversen Beiträgen verschiedenster Gruppen und Szeneakteure werden bürgerliche Narrative einer angeblichen „Gewaltspirale“ zwischen links und rechts unkritisch übernommen. Es scheint einigen Akteuren schwerzufallen, solidarische Kritik zu üben oder zumindest zu der Einsicht zu kommen, dass das Fehlen von Nachvollziehbarkeit strategischer Parameter daran liegen könnte, dass man kein Teil von geführten Diskursen der letzten Jahre war. Stattdessen werden anmaßende Verdächtigungen und Spekulationen in den Raum gestellt, garniert mit den üblichen anklagenden Buzzwords wie „Mackertum“, „Gewaltfetisch“ oder „fehlende politische Reflektion“. In ahistorischer Manier wird von „Faschomethoden“ schwadroniert, wo sich Faschisten und ihren Zusammenhängen entschlossen entgegengestellt wurde, antifaschistische Interventionen werden als „Folter“ diskreditiert. In ähnlicher Form werden Erzählungen über den ungehemmten Einsatz von Hämmern oder anderem Handwerksbedarf gegen den Kopf und angebliche Tötungsabsichten, die Nazis oder Springerpresse in die Welt setzen, unkritisch übernommen. Dass hierbei propagandistische Kunststücke der betroffenen Nazis adaptiert werden, scheint kaum jemanden zu stören.

Angesichts dessen, dass zum Thema in den letzten Jahren wenig mit Substanz veröffentlicht wurde, sollen im Folgenden einige Punkte ausgeführt werden, die in den verschiedenen Beiträgen immer wieder ins Auge fielen:

1. Kosten-Nutzen-Rechnung

Oft wird behauptet, aufgrund umfangreicher Ermittlungsmaßnahmen und des Risikos mehrjähriger Haftstrafen, würden sich militante antifaschistische Interventionen nicht „lohnen“. Einen derart ökonomischen Aufrechnungsansatz von Schaden beim politischen Gegner im Verhältnis zum Schaden an den eigenen Strukturen am Beispiel des Antifa Ost-Verfahrens vorzunehmen, ist jedoch zu kurz gedacht. Dieser Logik folgend würde sich Schwarzfahren nicht lohnen, weil ein Fahrschein 3€ kostet, die Stafe aber 60€ beträgt. Diese isolierte Betrachtung offenbart eine gewisse Praxisferne. Es wird vollkommen ausgeblendet, dass Festnahmen und Verurteilungen erstens die absolute Ausnahme und zweitens in der Regel durch entsprechende Vorkehrungen vermeidbar sind. Wenn man schon eine derartige Rechnung aufstellen möchte, muss die Vielzahl an erfolgreichen Aktionen, bei denen die Repression ins Leere lief, miteinbezogen werden.

2. Sinnhaftigkeit antifaschistischer Interventionen

Sowohl die bürgerliche Presse als auch ihre pseudoantifaschistischen Interviewpartner werden nicht müde zu betonen, dass Gewalt gegen Nazis keinerlei Effekt hätte. Belegt wird dies durch einige der Geschädigten des Antifa Ost-Verfahrens sowie die fortgesetzten militanten Aktivitäten der Eisenacher Neonazis. Diese in erster Linie ideologisch motivierte Behauptung zeugt von einer fehlenden Auseinandersetzung mit den Effekten antifaschistischer Interventionen.

Positive Beispiele für die Wirkungen solcher Interventionen gibt es insbesondere in Ostdeutschland viele. Eines der prominenteren Beispiele ist der ehemalige Leipziger NPD-Politiker Axel Radestock, welcher nach einigen militanten Aktionen gegen ihn öffentlichkeitswirksam von allen politischen Aktivitäten zurücktrat. Es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass sich organisierte oder gewalttätige Faschisten nach angemessen durchgeführten Interventionen von ihren Aktivitäten zurückziehen. Eine Ausführung dessen würde allerdings den hier gesetzten Rahmen sprengen.

Zudem sei angemerkt, dass Angriffe auf Faschisten nicht nur der Bekämpfung einer rechten Hegemonie im öffentlichen Raum und dem Einschränken des Sicherheitsgefühls der beteiligten Akteure dienen muss. Vielmehr können auch das Sammeln von Erfahrungen und die Optimierung des eigenen Vorgehens zu den positiven Effekten derartiger Interventionen gehören.

3. Exzessive Gewalt

Immer wieder wird betont, dass Gewalt auf das notwendige Maß zu beschränken sei. Das mag von moralischer Integrität sprechen und ist eine Aussage, die sicherlich jede:r, der militant aktiv ist, unterschreiben würde. Gewalt zu minimieren bedeutet aber auch, genug Gewalt anzuwenden, sodass die strategische Zielsetzung mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht wird. Dementsprechend stellen gezielte Angriffe auf einzelne Faschisten oftmals das erforderliche Mittel dar. Ein kontrollierter Angriff, bei dem Intensität und Art der Gewaltanwendung einer sinnvollen Zielsetzung entsprechen, hat in der Regel den gewünschten Effekt. Ganz im Gegensatz zu den üblichen Scharmützeln und Faustkämpfen erlebnisorientierter Männergruppen am Demonstrationsrand, welche leider oftmals ohne das erwünschte Resultat verlaufen – nämlich eine reale Einschränkung des Handlungsspielraums gewalttätiger Faschisten.

Einem Nazi ein blaues Auge oder eine blutige Nase zu verpassen, dient somit häufig lediglich der eigenen Triebabfuhr. Der politische Effekt dessen wird sich bei einem überzeugten und gewalterfahrenen Faschisten jedoch in Grenzen halten, was in der Konsequenz erneute Gewaltanwendung nötig macht. Häufig wird selbst in der radikalen Linken verkannt, dass es sich bei antifaschistischen Interventionen in der Regel nicht um Gewalt als Selbstzweck handelt, sondern um instrumentelle, aus politischer Abwägung und einer gesellschaftlichen Analyse heraus ausgeübte Gewalt.

4. Selbstjustiz

Ähnlich wie Soko LinX und Bundesanwaltschaft immer wieder fälschlicherweise behaupten, es gehe Leuten, die sich bewusst in Auseinandersetzungen mit Nazis begeben, darum „Selbstjustiz“ zu üben, scheint sich auch in linken Kreisen teilweise ein vergleichbares Missverständnis etabliert zu haben. Immer wieder wird in verschiedenen Beiträgen so getan als sei antifaschistische Militanz legitim, weil die betroffenen Nazis „es verdient“ hätten. Unabhängig davon, ob das so ist, geht es bei antifaschistischen Interventionen nicht darum, ein Bedürfnis nach Bestrafung oder Rache auszuleben und sich damit zur Justiz aufzuschwingen. Stattdessen ist das Ziel eine Schwächung des politischen Gegners und eine damit einhergehende Eindämmung des rechten Gewaltpotentials. Antifaschistisches Handeln folgt also in der Regel einer strategischen Zielsetzung und ist nicht bloßer Ausdruck eines Gefühls von Legitimität.

5. Militanter Antifaschismus ist nicht die Ergänzung staatlicher Gewalt

Ähnlich oft wird eigenmächtiges antifaschistisches Handeln, bspw. im Zuge des Antifa Ost-Prozesses, damit begründet, dass „der Staat“ nichts oder zu wenig gegen Nazis unternehme und Antifaschist:innen deshalb tätig werden müssten. Auch wenn das häufig zutrifft, kann und sollte es nicht der primäre Antrieb für antifaschistische Praxis sein. Um eine befreite Gesellschaft aufzubauen, ist es notwendig im Hier und Jetzt die Zusammenarbeit mit den Institutionen des bürgerlichen Staates möglichst zu vermeiden sowie eigene Handlungsfähigkeit und Alternativen zu Polizei und Justiz zu entwickeln.

Faschismus ist als reaktionäres Krisen-Rettungsprogramm des Nationalstaates in einer kapitalistischen Gesellschaft grundsätzlich angelegt. Antifaschismus muss daher neben der Zerschlagung konkreter faschistischer Strukturen die Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft zum Ziel haben. Daher ist die Kritik an der Polizei nicht, dass der Staat effektiver das Gewaltmonopol bspw. gegen Neonazis einsetzen sollte, etwa in Form von intensiveren Ermittlungen oder härteren Strafen. Militanter Antifaschismus darf nicht als ehrenamtlicher Ersatz für die Arbeit der Polizei fehlinterpretiert werden, sondern sollte als Gegenkonzept zu einer Institution, die für die Durchsetzung der bürgerlichen Eigentumsordnung verantwortlich ist, verstanden werden.

Um zum Abschluss eines klarzustellen: Natürlich ist es wichtig, über politische Strategie zu diskutieren. Manche Diskussionen sollten öffentlich geführt werden, andere nicht. Antifaschistische Interventionen und ihre Wirkung sollten immer auf ihre Sinnhaftigkeit und auf ihre Konsequenzen hin überprüft und bewertet werden. Offensichtlich gibt es Antifaschist:innen, die sich entschlossen haben, abseits von erlebnisorientiertem Hooliganismus, welcher sich einer Ästhetik schwarzer Outdoorjacken und brennender Mülltonnen bedient, der faschistischen Bedrohung mit einer gewissen Ernsthaftigkeit und Effektivität entgegenzutreten. Diesen einen „Gewaltfetisch“ zu unterstellen, erscheint jedoch reichlich absurd. Dass staatliche Repression fast zwangsläufige Begleiterscheinung eines konsequenten und ernst gemeinten Antifaschismus ist, sollten sich alle bewusst machen.

Die antifaschistische Bewegung steht derzeit vor großen Herausforderungen. Während die staatliche Repression gegen ihre Zusammenhänge und Praxisformen zunimmt, besteht eine ungebrochene rechte Bedrohung. Dem haben wir angesichts realitätsferner oder fehlender inhaltlicher Positionierungen, teilweise kaum vorhandener gesellschaftlicher Verankerung und Schwächen in Organisierung und Mobilisierung oft nur wenig entgegenzusetzen. Doch gerade in den letzten Monaten entsteht auch der Eindruck, dass bundesweit wieder vermehrt das Bedürfnis besteht, sich über antifaschistische Analyse und Strategie auszutauschen. In vielen Zusammenhängen existiert ein Bewusstsein über die Notwendigkeit einer linken und antifaschistischen Antwort auf die gesellschaftlichen Krisen unserer Zeit. Daran gilt es anzuknüpfen. In Bezug auf die Repression muss die Dynamik einer anlassbezogenen und kurzweiligen Solidaritäts-Hektik überwunden werden, hin zu dauerhafteren und kontinuierlich arbeitenden Solidaritätsstrukturen und politischen Zusammenhängen, die dem staatlichen Druck standhalten können.

Gerade jetzt müssen wir zusammenstehen, uns organisieren und politische Perspektiven erarbeiten. Das Antifa Ost-Verfahren hat neben all seinen schlechten Seiten auch gezeigt, wie ausdrucksstark Solidarität sein kann. Kein Verrat, keine Haftstrafe und keine Polizeigewalt mindert die Notwendigkeit und Richtigkeit von Antifaschismus. Es ist an uns allen, die Gefangenen nicht alleine zu lassen und die in den kommenden Jahren von Repression Betroffenen zu unterstützen. Damit sind nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern auch ihre Angehörigen und Freund:innen gemeint. Wir sollten versuchen, diese Repressionswelle zum Anlass zu nehmen, wieder näher zusammenzurücken und, so schwierig das auch wird, neue Kraft daraus zu ziehen. Indem wir inhaltlich diskutieren und unsere Analysen und Strategie weiterentwickeln. Indem wir dafür sorgen, dass niemand alleine gelassen wird und keine Mauern uns spalten und isolieren können. Und indem wir uns antifaschistisch organisieren und dem Vormarsch der (extremen) Rechten eine fortschrittliche Perspektive und unseren organisierten Widerstand entgegensetzen – auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!

LEIPZIG, DIE REPRESSION WIRKT. REDEN WIR DARÜBER

 

Seit 2,5 Jahren sehen wir uns in Leipzig mit einer intensiven Repressionswelle konfrontiert. Eine große öffentliche Debatte von unterschiedlichen Gruppen und Zusammenhängen in der Stadt über ihre Folgen ist bisher allerdings ausgeblieben. Auch wir haben uns bisher nicht zu der andauernden Situation geäußert, was wir hiermit nachholen möchten. Denn die Repression wirkt. Sie wirkt individuell bei direkt Betroffenen, als auch bei nicht unmittelbar Betroffenen. Sie wirkt sich auf die politische Praxis von Einzelnen, aber auch Gruppen aus. Sie führt zu Wut, Lähmung, Ohnmacht, Passivität und Angst.

Repression ist in Leipzig Normalität geworden. Sie bringt nicht nur einige in den Knast, bzw. hat es bereits, sondern zielt auch auf die Einschüchterung der gesamten antifaschistischen Bewegung ab und hinterlässt erhebliche psychische Folgen bei Einzelnen. Repression ist Gewalt. Repression entzieht sich unserer Handlungsmacht. Wenn wir als Bewegung Stärke gegenüber staatlicher Gewalt demonstrieren wollen, müssen wir uns auch Schwäche und Verwundbarkeit eingestehen können. Verbalradikalismus und die immer gleichen Phrasen, sowie ein reflexionsfernes „Mund abwischen, weitermachen“ führen uns nicht aus unserer beschissenen Lage. Vielmehr hilft uns eine Anerkennung und Einordnung der Situation, mit der wir uns konfrontiert sehen. Das heißt zum einen, sich ein Verständnis über die ihr zugrundeliegenden politischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu machen. Zum anderen müssen wir uns der politischen, emotionalen und psychischen Konsequenzen der Repressionswelle, sowohl auf individueller, als auch kollektiver Ebene bewusst werden. Tun wir das nicht, verkennen wir die Bedingungen für unsere missliche Lage und brechen damit an der Realität.

1. what a time to be alive – zur aktuellen Lage

Mittwoch, 15.03.2023, Internationaler Tag gegen Polizeigewalt, 6 Uhr morgens: maskierte und bewaffnete Polizist*innen stürmen die Wohnungen von 8 Antifaschist*innen in Leipzig und Jena. Anlass der teils elfstündigen Razzien sind Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, sowie der Landeskriminalämter Thüringen und Sachsen im Zusammenhang mit den Angriffen auf Neo-Nazis beim sogenannten „Tag der Ehre“ in Budapest. In Jena werfen sie nach dem Auframmen der Wohnungstür eine Blendgranate in die Wohnung. Eine Bewohnerin wird ohne Unterwäsche aus dem Bett gezerrt und von ausschließlich männlichen Beamten am Boden gehalten. Ein*e Jugendliche*r wird ebenfalls gefesselt. Zu der Zeit dachte vermutlich noch kaum jemand, dass die Bullen wenige Stunden später noch einen draufsetzen und zu einem weiteren Schlag ausholen, indem sie ein Wohnhaus in Connewitz vom SEK stürmen lassen.

Dieser Mittwoch hat gezeigt, was für eine Dimension die politische Strafverfolgung mittlerweile angenommen hat. Was die Repressionsbehörden nun anhand der Ermittlungen anlässlich der Angriffe in Budapest hochkochen und sich dabei auch zu willentlichen Helfer*innen der rechten ungarischen Regierung machen, soll uns unverkennbar aufzeigen, wozu sie bereit sind, um uns einzuschüchtern, unsere Strukturen zu durchleuchten, uns zu lähmen und letztendlich zu zerschlagen. Das SEK stürmt ein Wohnhaus, in dem sich mutmaßlich gesuchte Personen verstecken sollen. Türen werden aufgeschossen und Bewohner*innen auf dem Boden fixiert. Es war eine bewusst gewählte Kampfansage mit Symbolwirkung, die den politisch motivierten Verfolgungswillen dahinter mit aller Gewalt deutlich macht. Es zeigt uns, was passiert, wenn wir solidarisch miteinander sind und Beschuldigte unterstützen oder gar bei uns verstecken würden. Und die Botschaft „es kann alle treffen“ kam mal wieder an.

Die jüngsten Razzien fallen allerdings nicht vom Himmel. Sie haben Kontinuität und sind vorläufiger Höhepunkt einer seit 2,5 Jahren anhaltenden Repressionswelle in Leipzig.

Einen richtigen Überblick über die Anzahl der Hausdurchsuchungen haben vermutlich nur noch wenige. Hausdurchsuchungen sind neben Gerichtsprozessen, die sicherlich am besten öffentlich wahrnehmbare Form der Repression. Die Liste an Maßnahmen, die in der jüngeren Vergangenheit in Leipzig aufgekommen sind, ist allerdings wesentlich längeri: Observationen, Datensammelwut, verwanzte Autos, Telekommunikationsüberwachung, Kameras vor Objekten, das Stürmen eines Hausprojekts für eine DNA-Entnahme oder die unzähligen kleineren Strafen und Maßnahmen im Kontext der Proteste gegen die rechten Montagsdemonstrationen, die insbesonderen jüngere Antifaschist*innen treffen und diese von weiterem abhalten sollen. Und nicht zuletzt möchten wir die unzähligen Strukturermittlungsverfahren betonen, bei denen es überhaupt erstmal darum geht einen Beschuldigtenstatus herzustellen, damit Personen und Umfelder durchleuchtet werden können.

Die Liste ließe sich fortführen. Das Antifa-Ost-Verfahren hat innerhalb der aktuellen Repressionslage eine zentrale Stellung inne. Eine ausschließliche Fokussierung darauf würde jedoch das Ausmaß verkennen und viele weitere laufende Verfahren übersehen, die ebenfalls Teil der intensivierten Repressionswelle sind.

2. Die politischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse als Rückendeckung der Behörden

Die notwendige Legitimation für das Vorgehen der Repressionsbehörden liefert eine allgemein geteilte „…aber der Linksextremismus“ – Linie, die insbesondere von der rechtskonservativen CDU-Regierung in Sachsen konsequent geführt wird. Diese wird nicht müde zum Kampf gegen „Linksextreme“ aufzurufen. Dabei schaffen sächsische Verhältnisse seit Jahrzehnten fruchtbaren Boden für unterschiedliche rechte Terrorzellen und militante Nazistrukturen. Vom gesamtgesellschaftlichen Antikommunismus, der sich im Hass auf alles Linke und Emanzipatorische äußert, noch ganz zu schweigen. Rechtsruck sind nicht nur die 27,5% Prozent für die AfD bei Landtagswahlen oder das Verständnis für andere vom Ressentiment getriebene Bewegungen, sondern auch die Verstärkung politischer Feindbilder, die sich im sich steigernden Verfolgungseifer gegenüber Linken exekutiert. Und dafür ist sich im Zweifel selbst Leipzigs SPD-Oberbürgermeister für keinen noch so blöden Vergleich zu schade. Im September 2020, im Nachgang von drei Antigentrifizierungs-Demonstrationen, bei denen es zu Ausschreitungen kam, beschwor dieser bürgerkriegsähnliche Zustände hervor und prognostizierte, dass es bis zum ersten Toten nicht mehr weit sei. Einen Monat später gab es schließlich im nur unweit von Leipzig gelegenen Halle zwei Tote. 60 Jüdinnen und Juden überlebten nur durch ein Glück den Anschlag, der ihnen gegolten hat. Mal wieder tötete ein Faschist. „Aber der Linksextremismus…“ sei letztendlich nicht besser. Auch dieses Narrativ ist es, das den Repressionsbehörden den Rücken freihält. Ihr Handeln ist immer auch Ausdruck politischer Kräfteverhältnisse in Leipzig, Sachsen und der BRD.

Teil dieser Kräfteverhältnisse ist auch die gesellschaftliche Isolation und marginale Position der radikalen Linken, die wir anerkennen müssen. Allerdings bieten die Verhältnisse nicht nur eine Erklärung für unsere Lage, sondern müssen auch in unseren Diskurs zum Umgang mit Repression einbezogen werden. Denn die gesellschaftliche Isolation ist eine Vorbedingung dafür, dass der Staat gegenwärtig ohne Widerspruch in diesem Maßstab Antifaschist*innen verfolgen kann. So schafft er es, dass wir uns als Szene weiter einigeln und gesellschaftlich noch irrelevanter werden.

3. Konsequenzen der Repression

3.1 Auf Repression folgt (auch) Rückzug

Wir haben bereits davon gesprochen, dass die Repressionswelle emotionale und psychische Spuren in der Leipziger Linken hinterlässt. Andere Spuren lassen sich jedoch ganz äußerlich feststellen: Selbst ein noch so brutaler Repressionsschlag, wie der am 15.03, bringt immer weniger Leute auf die Straße. Viele Gruppen und Einzelpersonen, mit denen man sich vor einiger Zeit noch die Straße nahm, sucht man inwzischen vergebens. Dass Menschen, die die letzten Jahre in Leipzig politisch in unterschiedlichen Spektren aktiv waren, sich zurückgezogen haben, ist auch am sinkenden Durchschnittsalter von Demonstrationsteilnehmer*innen unübersehbar.

Sicherlich kommen hier verschiedene Faktoren zusammen. Nicht alles ist allein auf Repression zurückzuführen. Das Wegfallen einiger größerer Gruppen wie der „Antifa Klein-Paris“ oder „the future is unwritten“ hat gewiss genauso dazu beigetragen wie die Corona-Pandemie. Auch die sexuelle/sexualisierte Gewalt innerhalb der Szene (bspw. im Kontext des Festivals „Monis Rache“ oder die Täterschaften im Zusammenhang des Antifa-Ost-Verfahrens) haben politische Zusammenhänge in Leipzig nachhaltig zerrüttet und Rückzüge befeuert.ii Ebenso der leider völlig „normale“ Generationenwechsel und die damit einhergehende andere Schwerpunktsetzung bei Einzelnen im (politischen) Leben, veränderte Praxisformen, der Rückzug ins Private, Lohnarbeit oder (sub-)kulturelle Arbeit. Gründe für Umorientierungen oder den Rückzug gibt es viele, auch in Abwesenheit von Repression.

Der Punkt, den wir dennoch stark machen möchten, ist, dass einem nicht immer bewusst sein muss, dass Repression auch dann auf einen wirkt, wenn man selbst nicht direkt betroffen ist. Nicht selten verbleibt ihre Auswirkung im Unbewussten. Das Müde werden, zu wissen, dass Repression einen immer treffen kann, selbst wenn die eigene Praxis vermeintlich unverdächtig ist, muss somit als ein Aspekt mitreflektiert werden, der zu o.g. Umorientierungen, bzw. zum Rückzug führen kann. Denn natürlich haben auch Leute in der radikalen Linken etwas zu verlieren.

Auch Menschen, die unmittelbar von Repression betroffen sind, ziehen sich nicht selten zurück – sicherlich, oft unfreiwillig als Konsequenz ihrer Lage und damit vielleicht aus anderen Gründen. Fakt bleibt trotzdem: Repression lähmt. Sie lähmt aber eben nicht nur Betroffene, die ihre Füße still halten, sondern auch darüber hinaus. Soliarbeit spannt unzählige Menschen ein und verlangt ihnen unglaublich viel ab. Dass wir gezwungen sind, uns mit der eigenen Repression oder der der Genoss*innen zu beschäftigen, ist eines der vornehmlichen Ziele selbiger. Es fehlen dadurch die Ressourcen für andere Kämpfe. Repression will, dass wir vereinzeln und dass wir uns zurückziehen. Sie will unsere Kämpfe erschweren und dass wir vor zukünftigen Aktivitäten absehen (müssen). Und es gelingt ihr. Leider.

3.2 Normalisierung der Repression

Mit jeder weiteren Hausdurchsuchung der letzten 2,5 Jahre hat mehr Gewöhnung eingesetzt. Die einen nehmen es schulterzuckend zur Kenntnis, die anderen spulen die gelernten Parolen ab. Wieder andere verlieren sich in affekthaftem Aktionismus.

Wenn wir von Hausdurchsuchungen lesen und das nicht mehr viel mit uns macht; wenn nach großen Repressionsschlägen mit SEK-Einsatz in der „Linken Hochburg Leipzig“ nur noch 150 Menschen auf die Straße gehen; wenn eine Debatte über die unübersehbaren Auswirkungen und den Umgang mit Repression ausbleibt, dann müssen wir uns eingestehen, dass wir uns im Angesicht permanenter Repression an den Zustand gewöhnt haben. Die Resignation speist sich dabei vor allem aus der kollektiven Überforderung der Szene, die gegenüber dem momentanen Druck kaum einen Ausgleich bieten oder die Folgen auffangen kann. Entsprechend zieht die Repression den nächsten gewünschten Effekt nach sich: Überforderung und das passive Arrangieren mit ihr. Wir glauben, wir würden als radikale Linke gut daran tun, uns diesbezüglich nicht zu belügen. Wir wollen dem Staat zeigen, dass er sich an uns die Zähne ausbeißt, aber das tut er gerade nicht (mehr). Daher sollten wir uns eingestehen, dass die staatlichen Angriffe uns krass zu schaffen machen. Und wir sollten darüber diskutieren, wie ein Umgang damit aussehen kann, jenseits routinierter und reflexionsferner Affekthandlungen.

3.3 Repression als immanente Folge linksradikaler Politik erfordert (präventive) Auseinandersetzung

Repression wird von vielen nicht mehr als logische Folge linksradikaler Politik diskutiert und verstanden. Dabei speist sie doch aus dem Gewaltmonopol und Herrschaftsanspruch des Staates und dem linken Antagonismus dazu. Umso ohnmächtiger fühlen wir uns nun, wenn wir, wie momentan, permanent von ihr getroffen werden, aber eine präventive Auseinandersetzung mit Repression eher die Ausnahme, als die Regel ist.

Eine präventive Auseinandersetzung mit Repression dient allerdings nicht nur dem eigenen Schutz. Bleibt sie aus, kann das mitunter auch für andere gefährlich werden. Wenn Repression eine*n trifft, löst das nicht selten erstmal verständliche Ängste bei Betroffenen aus. Dem Repressionsdruck standzuhalten, kann einer*einem einiges abverlangen. Deswegen können stabile soziale Umfelder, die diesen Druck auffangen, eine wichtige Stütze sein, genauso wie ein gefestigter politischer Standpunkt, von dem aus ihm begegnet wird. Der Staat und seine Verfolgungsbehörden zielen mit ihrer Repression immer auch darauf ab, uns zu brechen. Es gibt Beispiele dafür, bei denen das auch funktionierte. Sicher, Repression ist für uns erstmal nicht kontrollierbar. Und dennoch gibt es einerseits Praxisformen, die kriminalisiert sind und ganz notwendig Ermittlungen nach sich ziehen. Andererseits kann sie eine*n alleine schon deswegen treffen, da man als „linksextrem“ gilt. Unabhängig davon, was die eigene linksradikale Praxis konkret ist, muss sich letztendlich immer auch vor dem Hintergrund ihrer potentiell nach sich ziehenden Repression mit ihr beschäftigt werden.
Nicht zufällig knicken Leute genau dann ein, wenn sie Repression nie ausreichend ernst genommen haben, sich aber plötzlich mit ihr konfrontiert sehen und versuchen im Anschluss den Preis für sich möglichst gering zu halten – im Zweifel auf die Kosten ihrer (ehemaligen) Genoss*innen oder einer politischen Prozessführung.

3.4 Repression ist Gewalt und die wirkt auch auf die Psyche

Repression hinterlässt nicht nur Spuren bei uns als antifaschistischer Bewegung, sondern auch bei Individuen. Vor einiger Zeit veröffentlichte eine Person, die von einer Hausdurchsuchung betroffen war, einen Text darüber, was selbige mit ihr emotional gemacht hat (knack.news/3614). Wir begrüßen den Text, da er genau das thematisiert, was oft nicht öffentlich gemacht wird.

Während es im Zuge neuer Männlichkeitsentwürfe teils en vogue ist sich Schwäche einzugestehen, ist die antifaschistische Bewegung trotzdem von klassisch männlichen Attributen dominiert.iii Folgerichtig muss Schwäche unterdrückt und abgespalten werden. Man(n) will seinen Genoss*innen gegenüber kämpferisch und “tough” sein und auch dem Staat gegenüber nicht preisgeben, dass Repression natürlich was mit ihm macht. Keine Sorge, der Staat und die Bullen wissen das ganz genau, auch wenn wir es nicht öffentlich machen.

Ihr Vorgehen ist davon bestimmt einzuschüchtern, Angst zu verbreiten und Macht zu demonstrieren. Wir verlieren also nichts, wenn wir darüber reden. Im Gegenteil, wir können über das Artikulieren von Verwundbarkeit und Schwäche wieder Stärke und Verbundenheit entwickeln. Als Bewegung, in Freund*innenschaften und Polit-Strukturen. Wir wissen doch um die psychischen Folgen bei unseren Genoss*innen nach Razzien oder anderen Formen der Repression wie Observationen, DNA-Entnahmen, Festnahmen, Telekommunikationsüberwachung etc. So schreibt beispielsweise die o.g. betroffene Person, was die Razzia in ihr emotional verursacht hat: „Ich stehe kurz darauf alleine in meinem Zimmer. Es sieht anders aus und es fühlt sich anders an. Tag für Tag wird vergehen, an dem ich und wir uns versuchen die Räume wieder zu unserem zu Hause zu machen, versuchen uns wieder sicher zu fühlen. Das gelingt mal mehr mal weniger gut. Und das ist voll OK. Und auch wenn es gar nicht gelingt, ist das OK. Schuld tragen die Bullen und der repressive Staat. […] Denn klar gehen die Bullen am Tag der Durchsuchung wieder raus, doch die vielen Eindrücke und beklemmenden Gefühle bleiben.“iv Einige Bewohner*innen des Hauses in Connewitz, das vom SEK gestürmt wurde, schreiben: „Auch wenn andere Hausdurchsuchungen vermeintlich glimpflicher ablaufen als bei uns, sind diese immer ein massiver Eingriff in unsere engsten und privatesten Rückzugsräume. Nehmt die Vorfälle also nicht auf die „leichte Schulter“, sondern unterstützt euch gegenseitig: Fragt einander, was ihr braucht und sprecht in einem vertrauten Rahmen über das Erlebte.“ Neben diesen beiden beschriebenen Erfahrungen gibt es noch unzählige weitere Arten, wie sich Repression im Alltag auf Einzelne auswirken kann. Menschen, die sich nach dem Verlassen des Hauses dreimal umsehen, ob sie nicht doch (wieder) eine Observation ihrer Person erkennen können. Genoss*innen, denen DNA abgenommen wurde, die teils für mehrere Jahre in Unwissenheit verbleiben, ob als Folge noch etwas auf sie zukommt oder nicht. Personen, die bei Geräuschen am Morgen hochschrecken, noch Wochen nach einer Razzia und sich gegenüber ihrem Zuhause erst wieder eine Sicherheit erarbeiten müssen. Betroffene von Repression, die Kontrollzwänge entwickeln, weil sie sich mit mehrjährigen Verfahren konfrontiert sehen, die permanent über ihnen kreisen, aber es sich ihrer Kontrolle und ihrem Wissen entzieht, was mit ihnen passiert. Die Bullen wissen all das. Genau das ist Teil ihrer Repression. Wenn wir nicht darüber reden, ob in Freund*innenschaften, Polit-Strukturen oder auch öffentlich, dann ist das keine Stärke, sondern schwächt uns nur weiter. Wir lassen dadurch Genoss*innen mit den Folgen von Repression alleine und können auch keine Handlungssicherheit im Angesicht der Repression erlangen.

4. Wie also weiter?

Wenn wir darüber reden wollen, wie individuelle oder kollektive Antworten aussehen können, müssen die vorausgegangenen Überlegungen zur beabsichtigten und tatsächlichen Wirkung von Repression, wie auch die ihr zugrundeliegenden politischen Kräfteverhältnisse, der Ausgangspunkt sein. Wir dürfen dabei die (sicherlich ernüchternde) Perspektive nicht über Bord werfen, dass wir als radikale Linke in unserem momentanen Zustand weit davon entfernt sind, verändernd in die Verhältnisse einzugreifen. Viele Probleme, mit denen wir uns konfrontiert sehen, werden wir nicht durch die Szene selbst lösen können. Angesichts dessen müssen wir schauen, was wir uns gegenseitig geben können und voneinander brauchen, um weiter linksradikale Politik machen zu können und wie wir unserer weiteren Isolation entgegenwirken können. Es gibt keinen Masterplan oder die Antwort auf die Repressionslage. Wir sollten uns diese entsprechend auch nicht herbeisehnen. Denn, die Einsicht in unsere missliche Lage ist überhaupt erst die Voraussetzung dafür, nicht weitere Enttäuschung zu produzieren. In aller Kürze, wollen wir ein paar Aspekte aufgreifen, die für sich genommen jeweils weiter zu diskutieren und um weitere zu ergänzen wären.

Öffentlichkeitsarbeit

Repressionsschläge und die Kriminalisierung unserer Kämpfe sollten immer eigene Veröffentlichungen nach sich ziehen, die auch jenseits der Szene-Plattformen wie Indymedia oder knack.news zu finden sind. Beispielsweise könnte nach Razzien im unmittelbaren Wohnumfeld der stattgefundene Polizeieinsatz mittels Flyern in Briefkästen aufgegriffen und eingeordnet werden. Unsere Isolation überwinden wir nur dann, wenn es uns wieder gelingt Solidaritätserfahrungen über die Szeneidentität hinaus aufzubauen.

Soliarbeit für Gefangene und ihre Umfelder

Bundesweit sitzen bereits einige Antifaschist*innen in Haft, es ist damit zu rechnen, dass viele weitere folgen werden. Setzt euch damit auseinander, wie ihr Inhaftierte, ihre Umfelder oder auch Familien unterstützen könnt. Ein guter Ansatzpunkt um sich diesem Thema zu nähern kann beispielsweise die Lektüre der Broschüre „Wege durch den Knast“ sein.v

Prävention

Es gibt sicherlich unzählige spannende Debattenbeiträge über Repression, die (zu) wenig Beachtung finden. Kramt sie heraus und verbreitet sie in euren Umfeldern. Beschäftigt euch als Einzelpersonen, wie auch in euren Gruppen und Zusammenhängen präventiv mit Fragen von Repression: Was sind Ängste, was können wir gemeinsam auffangen, wo liegen gefährliche Schwachstellen, welche Vorkehrungen können wir treffen, um im Fall der Fälle besser vorbereitet zu sein? Ein Bewusstsein über Repression, ihre Konsequenzen und (individuelle) Ängste kann Sicherheit geben.

Militanz

Uns fehlt auch die Auseinandersetzung mit unangenehmen Fragen nach der Sinnhaftigkeit mancher militanter Praxis. Macht es unter den gegebenen Umständen etwa Sinn bestimmte militante Aktionsformen beizubehalten, wenn sie keinen politischen Nutzen haben, sondern im Zweifel nur mehr Repression und Isolation mit sich bringen?

Militante Aktionsformen sollten nicht vorschnell verworfen werden, jedoch auch nicht zum Selbstzweck verkommen. Vielmehr bedarf es der situativen Abwägung, inwiefern Militanz strategisch in gesellschaftliche Auseinandersetzungen eingebettet ist oder etwa zur Gefahrenabwehr notwendig ist. Daraus lässt sich auf legitime Situationen für militantes Vorgehen schließen. Wird Militanz aber nicht mehr entlang nachvollziehbarer Parameter von politischer Strategie oder notwendigem Selbstschutz reflektiert, sondern als sich selbst erklärender Ausdruck von Radikalität missverstanden oder sich ihrer Begründung gänzlich entzogen,dann liegt der Verdacht nahe, dass es sich darin vor allem um einen vom eigenen Kollektiv legitimierten Raum für die Ausübung von Gewaltfetischen handelt. Die Umstände oder Orte in denen sich solche selbstzweckhafte Gewalt verwirklichen kann, sind dann letztlich auch potentiell austauschbar. Es spiegeln sich darin dann vor allem gängige Formen destruktiver Ausbruchsversuche, deren sonstige Ermöglichungsräume etwa das Fußballstadion oder das Dorffest sind. Wir denken auch darüber muss geredet werden.

Raus aus der Vereinzelung! Aber wie?

Im vergangenen Jahr gab es beispielsweise den Versuch mit einer Demonstrationsreihe „Alle zusammen gegen ihre Repression – Wir kämpfen weiter” eine kollektive Antwort auf die Repression zu finden, sowie die staatlichen Gewaltmaßnahmen in die Öffentlichkeit zu tragen. Ernüchternd wurde damals resümiert:

Zusammengefasst muss der neue Versuch mit der anhaltenden Repression in Leipzig ein Umgang zu finden als eher gescheitert betrachtet werden. Auch wenn wir einige empowernde kollektive Momente erlebten, war es nicht möglich unseren Widerstand gegen die Repression zu verstetigen und unsere Kämpfe produktiv zu verbinden. Vielmehr entstand der Eindruck, Menschen suchten eher nach einem einmaligen größeren Event zum „Druckablassen“, was auch in der Einsatzplanung der Cops mittlerweile fest eingerechnet ist.”vi

Als positive Tendenz der letzten Monate ist zu erwähnen, dass es (wieder) vermehrt zu Kundgebungen, bzw. Ansammlungen an den Orten der Hausdurchsuchungen kommt. Daran sollten wir festhalten und es noch weiter ausbauen. Je mehr Leute zusammenkommen, desto ressourcenaufwendiger wird der Einsatz für die Polizei, die es zudem hasst bei ihrer Arbeit beobachtet zu werden.vii

Außerdem soll Repression uns immer auch, wie oben im Text dargelegt, brechen und vereinzeln. Umso wichtiger ist es, wenn wir uns solidarisch mit den Betroffenen im Moment der Maßnahme, also einer Situation der Ohnmacht, zeigen und deutlich machen, dass die*der Betroffene nicht alleine ist.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Repressionswelle maßgeblich in einem Zeitraum begann, der von der Corona-Pandemie geprägt war. Während der pandemischen Hochphase waren wir noch stärker isoliert und vereinzelt voneinander. Umso unvorbereiteter hat uns die Repressionswelle getroffen und viele der Nachwirkungen merken wir erst jetzt. Politische Arbeit ist in dieser Zeit zurückgegangen, bzw. hat unter anderen Voraussetzungen stattfinden müssen. Vernetzungen und Kontakte, genau so wie Vertrauen untereinander, sind durch die Pandemie verloren gegangen, schlicht weil wir uns für längere Zeit aus den Augen verloren haben. Diese jetzt wieder aufzubauen braucht seine Zeit. Umso schöner zu merken, dass dies gerade Stück für Stück wieder passiert. Wir müssen wieder mehr zusammenkommen, uns kennenlernen und Vertrauen aufbauen. Gerade Momente der Repression können dafür untereinander bestärkend sein.

Fazit

Dennoch sollte sich [aus all dem] keine Resignation ergeben, sondern die Suche nach neuen Antworten und solidarischen Reaktionen, denn eines ist der linken Szene in Leipzig noch länger gewiss, eine weiterhin hohe Repression des Staates. Dieser werden wir nur gemeinsam begegnen können. Dementsprechend wäre es jetzt eine gemeinsame Aufgabe der radikalen Linken in dieser Stadt, Wege zu finden auch kontinuierlich und gemeinsam daran zu arbeiten, […] wieder selbstbestimmt kollektive Momente zu schaffen.“ Diesen Worten aus dem Resümee der Demonstrationsreihe „Alle zusammen gegen ihre Repression – Wir kämpfen weiter“ wollen wir uns anschließen. Natürlich haben auch wir (noch) keine Antworten auf die im Text aufgeworfenen Fragen gefunden. Wir wollen sie aber finden. Starten wir eine gemeinsame Suchbewegung. Und verlieren wir dabei weder unsere Freund*innen noch uns selbst aus dem Blick.

Tapfer, unverzagt, lächelnd – trotz alledem.

Downloadlink als Broschüre: KAPPA – Repression – Broschüre

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ii Freundschaften, Wohngemeinschaften, Polit-Gruppen und Szeneumfelder sind in Folge davon auseinander gebrochen. Doch vor allem hat es Frauen und Queers getroffen, die in ihrer politischen Arbeit gelähmt wurden, sich aus politischen Räumen und Umfeldern zurückgezogen haben. beziehungsweise diese für sich neu erkämpfen mussten. Während sich Genossen nach einem flüchtigen Innehalten, einer schockierten Hilflosigkeit und einer kurzen kritischen Männlichkeitskur wieder ihrer politischen Arbeit zuwenden konnten, bedeutete es für eine Vielzahl an Frauen und Queers einen einschneidenden Vertrauensverlust mit ihrem Umfeld. Es waren vor allem sie, die die Ressourcen aufbrachten, die Gewalt kontinuierlich zu thematisieren und eine Auseinandersetzung voranzutreiben.

iii Textempfehlung dazu: „It’s not just boys‘ fun – Wie hält es die radikale Linke mit der Geschlechterfrage“ von Veronika Kracher aus der Konkret 5/2018

iv knack.news/3614

vi knack.news/2229

vii In diesem Text geht es konkret darum, was zu tun wäre, wenn Hausdurchsuchungen stattfinden und nicht ihr oder eure konkrete Gruppe davon betroffen seid, sondern andere Genoss*innen: https://www.inventati.org/leipzig/?p=5249

Kundgebung: RECLAIM ANTIFA – emanzipatorisch statt antisemitisch

Seit Jahren ist der Tag der israelischen Staatsgründung am 14. Mai ein wichtiges Mobilisierungsmoment für die unterschiedlichsten antisemitischen Gruppierungen. In Leipzig, wie in vielen anderen Städten, treffen dabei zu Gedenkdemonstrationen an die sogenannte Nakba kommunistische und islamistische Gruppen zusammen, vereint im eliminatorischen Hass auf Israel. Der drückt sich in Parolen wie „Yallah Intifada“ und „from the river to the sea – palestine will be free“ aus.

Verschiedene Rote Gruppen wie der Kommunistische Aufbau mit seinen Vorfeldorganisationen Solidaritätsnetzwerk,Frauenkollektiv und Internationale Jugend, Young Struggle, Zora und die Kommunistische Organisation machen seit einigen Monaten regelmäßig mit genau diesen antisemitischen Parolen auf Demonstrationen auf sich aufmerksam. Das lässt sowohl für den Nakba-Tag als auch für zukünftige antisemitische Mobilisierungen eine deutlich höhere Beteiligung aus dem linken Spektrum als noch in den vergangenen Jahren befürchten.

Hier wollen und müssen wir als emanzipatorische radikale Linke intervenieren: Antisemit*innen können niemals Genoss*innen sein. Egal, wie Antisemitismus geäußert wird, er ist immer eine regressive Ideologie, eine falsche, einfache Welterklärung. Das Übel der Welt wird personifiziert – und auslöschbar gemacht. Das führt zu antisemitischen Terroranschlägen, zu gezielten Aktionen gegen Juden und Jüdinnen – aber niemals zur befreiten Gesellschaft.

Antisemitische Parolen werden auf den linken Demos in dieser Stadt immer normaler und autoritär-kommunistische Kleinstgruppen entstehen gefühlt im Minutentakt. Selbst wenn sie meist doch eher wenig Mitglieder haben, ist die massive öffentliche Präsenz autoritär-kommunistischer und antisemitischer Gruppen in der Leipziger Linken etwas, woran wir uns nicht gewöhnen wollen.
Am 14. Mai werden wir ein Zeichen dagegen setzen: An dem Tag, der in den letzten Jahren als Mobilisierungstag für antisemitische Gruppen herhalten musste, werden wir eine eigene Kundgebung veranstalten und zeigen: Es gibt uns noch, die radikale Linke, die nicht komplett in den 1920ern hängengeblieben ist und ein Bewusstsein über Antisemitismus hat. Die sich mit der deutschen Täterschaft im Nationalsozialismus im Allgemeinen, also auch der Täterschaft der Arbeiter*innenklasse, auseinandersetzt, statt diese nur als widerspruchfreies und revolutionäres Subjekt zu verklären. Und die gegen das System des Kapitalismus kämpft, ohne dabei in Regression zu verfallen.

Reclaim Antifa – emanzipatorisch statt antisemitisch

14. Mai 2023 // 13 Uhr // Kleiner Wilhelm-Leuschner-Platz

Kappa, Utopie & Praxis, Fantifa, Jugend gegen Rechts Leipzig

Redebeitrag zum „Antifaschistischen Frühjahrsputz“ in Stötteritz – 22.04.2023

Mythos „Leipzig Nazifrei“. Das ist eine Illusion, der sich viele Linke in dieser Stadt nur zu gerne hingeben. Und ein Bild, dass von Aussen häufig auf die Stadt projiziert wird. Das weltoffene Leipzig eben, die Stadt in der die antifaschistische Bewegung die Nazis erfolgreich zurückgedrängt hat. Und das auch noch mitten in Ostdeutschland.
Dass das nicht die ganze Wahrheit ist zeigt sich schon daran, dass wir heute diese Demo abhalten müssen. In den Szenekiezen und studentisch geprägten Vierteln mag die rechte Szene aus der Öffentlichkeit verdrängt sein, aber egal ob Innenstadt oder Randbezirke: Rechte Kneipen, Tattooläden und Übergriffe gibt es fast überall in dieser Stadt. Da wäre z.b. die Fleischergasse 4 direkt bei den Höfen am Brühl. Hier finden sich Geschäftsräume der Leipziger Rechten direkt neben einer von den Hells Angeles betriebenen Tabledancebar. Kein Zufall, die sogenannte Leipziger Mischszene ist schon lange keine Neuheit mehr. Es gibt sie auch hier in Stötteritz, wo sich Rocker, organisierte Kriminalität und Faschos im Gym zum Kampfsport und in der Kneipe zum Trinken treffen.
Neben rechts dominierten Kampfsportgyms gibt es die neonazistischen Burschenschaften im Leipziger Norden, rassistische Kneipen wie die Südstaatenkneipe Old Rebel im Leipziger Westen oder das wichtige Verschwörungsideologische Medienportal NuoViso in der Leipziger Südvorstadt, das viele nicht mal kennen werden.
Darüberhinaus lässt sich seit einem halben Jahr beobachten, dass die rassistischen Proteste in Sachsen erneut zunehmen. Um mit Dresden-Sporbiz, Zittau oder Eckersbach in Zwickau nur einige zu nennen.
Die Liste der Orte rechter Mobilmachung ist quasi wöchentlich zu erweitern.
Auch Leipzig ist davon nicht ausgenommen, wie beispielsweise die rechten sogenannten Mahnwachen vor einer Geflüchtetenunterkunft hier in Stötteritz gezeigt haben. Zum Teil veranstaltet von den gleichen Nazischweinen, die zur Zeit jeden Montag für einen angeblichen “Frieden” um den Leipziger Ring laufen.
Was eigentlich klar sein sollte, wollen wir hier nochmal stark machen: Mit Rechten gilt es nicht zu diskutieren und ihre Sorgen und Ängste anzuerkennen, wir müssen sie bekämpfen.
Leipzig ist nicht die nazifreie Hochburg für die sie viele halten. Dass die Kräfteverhältnis hier besser sind als in Zwönitz, Bautzen oder Zwickau haben wir keinem Zufall zu verdanken. Es ist das Produkt jahrzehntelanger antifaschistischer Kämpfe in dieser Stadt. Darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Denn wie wir seit vielen Monaten leider sehen, ist es auch in Leipzig möglich, jeden Montag mindestens eine rechte Demonstration abzuhalten.
Wir müssen uns rechter Raumnahme wieder entschlossen entgegenstellen, ob in Stötteritz und Zschocher, oder Montags in der Innenstadt. Genauso wie in Zwickau, Borna oder einer anderen beliebigen sächsischen Kleinstadt.
Beschäftigt euch mit den rechten Orten in eurer Umgebung. Lasst Nazis nicht in Ruhe ihr Ding machen, sondern zerrt sie an die Öffentlichkeit, wie heute durch diese Demo. Organisiert euch in Gruppen und vernetzt euch mit anderen, ob in Connewitz, Stötteritz oder Grimma. Und vor allem, schauen wir wieder über Leipzigs Stadtgrenzen hinaus und lasst uns wieder eine Unterstützung sein für die Genoss*innen im sächsischen Wasteland.
Antifa auch außerhalb der Wohlfühlkieze.
Wider den sächsischen Verhältnissen. Gegen Deutschland und seine Nazis. Keine Ruhe der schweigenden Mehrheit.

Rotes Gedenktheater – Das Hanau-Gedenken 2023 in Leipzig

Am 19. Februar 2023 fanden sich in Leipzig einige hundert Menschen bei einer Gedenkkundgebung zusammen, um der Opfer des Terroranschlags von Hanau vor drei Jahren zu gedenken. Organisiert wurde die Veranstaltung vor allem durch ein Konglomerat an sogenannten Roten Gruppen: die Internationale Jugend, Frauenkollektiv, Solidaritätsnetzwerk als FKO, Zora und Young Struggle. Ebenso rief die feministische Gruppe Abya Yala Libre zu der Kundgebung auf.

Was wir auf der Gedenkkundgebung erlebt haben, hat uns erschrocken und wütend gemacht, weshalb wir im Nachgang mit diesem Text nicht nur Kritik an antiimperialistisch, autoritär-kommunistischen Strömungen in Leipzig und ihrem Hanau-Gedenktheater üben, sondern auch einen Beitrag zur Debatte um linksradikales Gedenken allgemein formulieren wollen.

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25.02.2023 – FEMI(NI)ZIDE STOPPEN – In Gedenken an Nadera

Am 25.02.2023 fand in Zwickau eine Kundgebung in Gedenken an die Anfang Februar von ihrem Ehemann ermordete, 33-jährige Nadera statt. Wir hielten einen Redebeitrag zu den Hintergründen männlicher Überlegenheitsphantasien und männlicher Gewalt gegen Frauen. Nachfolgend dokumentieren wir unseren Redebeitrag.

Redebeitrag von Kappa – Kommunistische Gruppe Leipzig

Wir stehen heute hier zusammen, weil wieder eine Frau von ihrem Ehemann ermordet wurde. Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts nennen wir Femizid. Diese sind patriarchale Normalität. Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland eine Frau zu töten, jeden zweiten bis dritten Tag gelingt es. Es ist kein unglücklicher Einzellfall und kein vermeintliches Beziehungs- oder Eifersuchtsdrama, wie Femizide sexistischer Weise leider viel zu oft verharmlost werden. Um Femizide zu verstehen, müssen wir uns anschauen, aus welchem Grund Männer Frauen töten.

Von klein auf wird Jungen in dieser Gesellschaft vermittelt, dass sie Frauen nicht nur überlegen sind und das auch zu sein haben, sondern auch, dass es Teil der weiblichen Geschlechterrolle ist, ihnen zur Verfügung zu stehen. Also, dass Frauen sich kümmern und sie umsorgen. In der Folge verinnerlichen Jungen und Männer eine Dominanz- und Anspruchshaltung gegenüber Frauen und machen sie verantwortlich für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse – und nur dafür. Männlichkeit in modernen patriarchalen Kulturen bedeutet kurzum, sich prinzipiell als das überlegene Geschlecht zu definieren.

Ebenso mit Männlichkeit fest verbunden, ist das Ideal männlicher Autonomie, also Unabhängigkeit.
Durch die Selbstbestimmung der Frau, insbesondere im Bereich der Sexualität, wird dieser männliche Autonomieanspruch angezweifelt. So wird dem Mann durch seine eigene Sexualität seine eben doch vorhandene Abhängigkeit von der Frau vor Augen geführt. Da er jedoch gelernt hat, Frauen gegenüber überlegen und grundlegend unabhängig zu sein und diesem Anspruch nun nicht gerecht wird, verspürt er in der Folge eigentlich eine Verachtung für sich selbst, die er aber schließlich auf die Frau überträgt.

Die weibliche Sexualität stellt für Männer eine Bedrohung dar, da diese ihnen nicht beliebig zur Verfügung steht, sondern Frauen selbstbestimmt darüber entscheiden können. Männer wollen unabhängig sein und haben verinnerlicht, über Frauen verfügen zu können und zu dürfen. Frauen müssen aber ihren vermeintlichen Rollenerwartungen nicht nachkommen, können also ihre Zuneigung verwehren.
Diese Ablehnung, also die Kränkung des Männlichen Überlegenheits- und Dominanzsanspruchs, ist einer der relevantesten Ursprünge von sexueller aber auch nicht-sexueller männlicher Gewalt. Sie dient als Mittel, die beschädigte Männlichkeit wiederherzustellen. Aggressives und gewalttätiges Verhalten von Männern ist unmittelbar im Zusammenhang zur männlichen Sozialisation und der in
diesem Zuge verinnerlichten Entwertung des Weiblichen zu betrachten.

Männer in dieser Gesellschaft müssen dem Druck standhalten, sich nicht nur von allem Weiblichen abzuspalten, sich als das überlegene Geschlecht zu setzen, sondern im Zweifel diese Überlegenheit durch Gewalt an Frauen auch unter Beweis zu stellen. Und die letzte und mörderischste Konsequenz suchen Männer in der absoluten Negation weiblicher Selbstbestimmung, also deren Auslöschung im Femizid.
Denn Männer töten meist dann, wenn Frauen ihren vermeintlichen Pflichten ihnen gegenüber nicht nachkommen und die an sie gestellten weiblichen Rollenerwartungen nicht erfüllen. Es ist also auch kein Zufall, dass Frauen insbesondere von ihren (Ex-)Partnern getötet werden.

Wenn wir diese gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Männlichkeit nicht überwinden, also Femiziden nicht ihre gesellschaftliche Grundlagen entziehen, endet auch der mörderische Hass auf Weiblichkeit nicht, sondern produziert weiter alltägliche Gewalt.

Gegen diese Gesellschaft und ihre Männlichkeit! Sexismus tötet! Alerta Feminista!

Femizide stoppen! Anreise zur Kundgebung nach Zwickau

Wir rufen dazu auf am Samstag, 25.02 nach Zwickau zu der Gedenkkundgebung anlässlich des Femizids an der 33-jährigen Nadera zu fahren.

Wir empfinden Wut, Angst und Trauer angesichts eines weiteren verlorenen Lebens. Und dennoch wollen wir uns stark zeigen, um voneinander Hoffnung und Mut zu schöpfen. Daher rufen wir euch auf, am Samstag zusammen zu kommen, um eure Stimmen zu erheben und gemeinsam gegen die mörderische Konsequenz patriarchaler Gewalt zu kämpfen. Lasst uns solidarisch und vereint an der Seite unserer Schwestern, Freund*innen und Bekannten stehen. Keine Frau und kein Leben sind vergessen.

Da leider aufgrund von Schienenersatzverkehr die Anreise mit dem Zug kompliziert und langwierig ist, haben wir uns für eine Autoanreise entschieden. Hierfür treffen wir uns um 12 Uhr auf dem Parkplatz des Conne Island. Wenn du also über ein Auto verfügst, bring es gerne mit, sodass alle mitkommen können. Heißt, auch wenn ihr kein Auto habt aber mitkommen möchtet, kommt zum o.g. Treffpunkt und wir verteilen uns auf die freien Plätze.

Bis Samstag! Nehmen sie uns eine, antworten wir alle! Alerta Feminista!

Aktuelle Infos:
Twitter: @KappaLeipzig
Instagram: keinemehrleipzig